Neue Einheit - Internet Statement 2003-16
Gruppe Neue Einheit
4.4.03
Unsere Position zum
Kampf gegen soziale Entrechtung (sog.
Hartz-Politik)
als
pdf-Datei
I.
Die Beschäftigten in der BRD sehen sich einem sozialen Angriff gegenüber,
der für sie noch vor wenigen Jahren unvorstellbar war. Mit einem
Mal zählen die sozialstaatlichen Versprechen in keiner
Weise mehr. Entrechtung und rücksichtslose Verbilligung der Arbeitskraft
ist angesagt, es erfolgt die Anpassung an das internationale Niveau, wie
das Kapital es nennt. Bei Licht betrachtet ist diese Anpassung aber durchaus
ein Ergebnis der früheren Zustände in unserem Land, ein logisches
Ergebnis der Widersprüche, die das Kapital jahrelang wissentlich
vor den lohnabhängigen Beschäftigten verdeckt hat. Wenn der
Kampf wirksam geführt werden soll gegen die Hartz- und
sonstigen Entrechtungspläne, die das Kapital, vertreten durch alle
Parteien, hier auf die Agenda gesetzt hat, muß man sich der Realität
stellen, man muß wissen, auf welche realen Kräfte man sich
im Kampf stützen kann, wie man Druck ausüben kann. Reiner Protest
ist zwar immer ein Anfang, aber dann wird mehr gebraucht werden.
Es gibt auffällige Faktoren, die jeder kennt. Jahr um Jahr sind
in den letzten 30 Jahren Betriebe aus der Bundesrepublik wie auch aus
anderen europäischen Ländern in sog. Billigzonen verlagert worden,
oder es sind Teile der sog. lohnintensiven Arbeit in diese Regionen verlegt
worden. Die Belegschaften fast aller großen Konzerne Deutschlands
wie auch anderer europäischer Länder befinden sich heute mehrheitlich
im Ausland. Das ist ein objektiver Weg der Internationalisierung des Kapitalismus,
den für sich genommen niemand aufhalten kann, der aber auch bestimmte
charakteristische Seiten aufweist, die wir bekämpfen können.
Seit den 70er Jahren erfolgte diese Verlagerung zum Teil auch unter dem
offenen Bekenntnis, daß man dem Druck, den die Arbeiter hier auf
das Kapital ausüben, ausweichen wolle, da es die politische Situation
nicht gestattete, Arbeitern und Angestellten entsprechende Senkungen ihres
Lebensniveaus zu diktieren. Eine Massenarbeitslosigkeit existierte in
diesem sog. Sozialstaat bereits seit 1974, die aber statistisch stark
verkleinert wurde.
II.
Alle diese Vorgänge standen zugleich in einer engen Verbindung mit
einem ökonomischen Aufschwung in Asien. Durch die chinesische Revolution
von 1949 bis 1976, durch die Revolutionen in anderen Staaten Asiens wurden
auch in allen übrigen Ländern Asiens kapitalistische Modernisierungen
in Gang gesetzt, und als China selbst Ende der 70er Jahre einen kapitalistischen
Weg erklärtermaßen beschritt, war das Arbeitskräftepotential,
auf das das Kapital zurückgreifen konnte, faktisch unbegrenzt, was
selbstverständlich, auch wenn man sich hierüber lange Zeit die
Augen verschlossen hat, den Druck auf die einzelnen Belegschaften in den
Betrieben wie auch auf die einzelnen Lohnarbeiterklassen in den Nationen
unermeßlich erhöhen mußte. Lange Zeit wurde dies öffentlich
kaschiert, jetzt kommt es als brutale Tatsache auf alle zu.
Es hat eine asiatische Boomentwicklung gegeben, die sich etwa von der
Zeit Ende der 70er bis Ende der 90er Jahre erstreckt, über 20 Jahre.
Sie ist jetzt noch nicht einmal unbedingt zuende. Von dem hiesigen Kapital
wurde das ausgenutzt, sich enorme Extraprofite zu beschaffen, mit denen
man eine Zeitlang die sozialen Widersprüche innerhalb unseres Landes
relativ kaschieren konnte, wenn man auch schon immer scheibchenweise soziale
Entrechtung betrieben hat. Mit der Ausnutzung der billigen Arbeitskräfte
in Osteuropa verhält es sich grundsätzlich ganz ähnlich.
Zu den Ursachen der strukturellen Arbeitslosigkeit gehört auch die
verstärkte Automatisierung, diese aber bedeutet für sich genommen
noch keineswegs die Verminderung von Beschäftigten, denn sie ist
normalerweise auch mit einer Ausweitung der Produktion international verbunden.
Die Automatisierungen in den vergangenen Jahrhunderten, also die Maschinisierung,
Elektrifikation, Chemisierung der Produktion haben auch nicht zu einer
Verminderung der Arbeitsplätze geführt, sondern zu einer Vermehrung,
obwohl jeweils auf bestimmen Gebieten immer Arbeitsplätze abgeschafft
wurden.
III.
In diesem Land wurden von den Herrschenden, d. h. von der Bourgeoisie,
alle möglichen Methoden angewendet, um den sozialen Folgen dieser
Strukturveränderung zu entkommen. Frühzeitige Verrentnerung
wurde vor 10 Jahren noch als Mittel zur Verminderung von Arbeitslosenzahlen
gepriesen. Für die Jugend stellte sich in den vergangenen Jahrzehnten
die Lage widersprüchlich dar. Ein viel größerer Teil als
bisher konnte eine höhere Ausbildung machen und erhielt das Versprechen,
daß ihm diese in Zukunft einen besseren Arbeitsplatz garantiert,
was sich nun nicht immer bestätigt. Ein gewisser Teil wurde in all
den Jahren auch in das Abseits, in die Subkultur gebracht. In einigen
Bundesländern wurden auch massenhaft Arbeitskräfte in den Staatsapparat
verschoben (z.B. Berlin), wo sich ein Wasserkopf, der auf der gesamten
Gesellschaft lastet, bildete, der auch bis zum heutigen Tage mit allen
Konsequenzen, Pensionszahlungen, Ausgleichszahlungen finanziert werden
muß.
Diese und andere damit im Zusammenhang stehende Maßnahmen wurden
niemals in der Öffentlichkeit demokratisch entschieden
oder gar in einer freien Entscheidung der Mehrheit in diesem Land. Sie
wurden einfach von den jeweiligen Regierungen und Landesregierungen und
bürokratischen Kräften durchgezogen. In der Tat
kann niemand jetzt von der werktätigen Bevölkerung in diesem
Land erwarten, daß sie für die sozialen Folgen dieser Vorgehensweisen
zahlen soll. Der staatliche Bankrott war aufgrund der Politik der Bourgeoisie
vorgegeben. Rentenkassen, Krankenkassengelder wurden geplündert,
um Profite zu sichern und diese sozialen Kaschierungsmaßnahmen zu
finanzieren. Heute ist auf allen Gebieten ein derartig großes Loch,
daß das Kapital meint, es muß zur radikalen Kur
übergehen, es muß den Lohnabhängigen in diesem Land jede
Art von Bedingungen diktieren. Das ist Wesen und Substanz der Hartz-Pläne.
Aber die Hartz-Pläne werden auch keine Arbeitsplätze schaffen,
wie die Bourgeoisie immer behauptet. Im Gegenteil, sie werden den Ruin
verschärfen und dann noch weitere Maßnahmen der Verschlechterung
nach sich ziehen.
IV.
Man muß auch bei den Vorgängen, die uns heute betroffen machen,
die Frage nach der Entwicklung des Kapitalismus selbst ins Auge fassen.
Es gibt immer zwei grundlegende Wege für uns, wenn man eine Verbesserung
erreichen will. Zum einen müßte man das gesellschaftliche System
abschaffen und Sozialismus schaffen, was immer auch darüber kontrovers
diskutiert wird. Zum anderen müßte man Veränderungen innerhalb
des Kapitalismus schaffen können. Sozialismus steht aber heute nicht
unmittelbar an, dazu braucht man eine Revolution. Somit steht die Frage
an, welche ökonomischen Entwicklungen innerhalb des Kapitalismus
erreicht werden können, um relative Verbesserungen durchzusetzen.
Eine naheliegende Sache wäre natürlich, die internationale
Arbeiterbewegung zu verstärken, internationale Solidarität zu
schaffen und z.B. gemeinsam mit den Arbeitern und Angestellten Osteuropas
den Kampf gegen den Kapitalismus aufzunehmen. Schließlich müßte
man auch mit den der Zahl nach riesigen Arbeiterklassen in den asiatischen
Ländern und in den Ländern Lateinamerikas Verbindungen aufnehmen
zum gemeinschaftlichen Kampf. Dieser baut sich aber nicht innerhalb von
kurzer Frist auf. Das Kapital, das hier auf Demokratie macht, hat überall
auf der Welt Diktaturen unterstützt, die das Proletariat rücksichtslos
ausbeuten, faktisch unter militärdiktatorischen Bedingungen. Gewerkschaftliche
Bewegung muß daher von vornherein gegen diese Art von Diktaturen
und gegen die soziale Entrechtung vorgehen, und nicht nur mit Lippenbekenntnissen.
Aber das nützt uns immer noch heute nichts, weil auch dieser Kampf
nur in Jahren aufgebaut werden kann. Allerdings, ohne daß wir unseren
sozialen Kampf auf diesen Punkt ausrichten, wäre der gesamte Kampf
gegen die Hartz-Pläne oder die Abarten dieser Pläne nichts wert,
denn Arbeiter oder Angestellte, die vertreten, uns soll es gut gehen,
aber anderswo können ruhig die Verhältnisse so bleiben, hätten
es auch gar nicht verdient, daß sie irgendwo Unterstützung
erfahren. Wer selbst die Ausbeutung Anderer bejaht, kann für sich
keine Solidarität in Anspruch nehmen.
Weiter stellen sich also die Fragen, was heute zu tun ist.
V.
Zu den grundlegenden Phänomenen der letzten 30 Jahre gehört,
und zwar in Deutschland mehr als in jedem anderen Land, daß die
Bourgeoisie und der staatliche Überbau die Floskel von der Gefährdung
durch ein übermäßiges Wachstum, vom Kampf um die Umwelt,
um die sog. Ökologie verfechten. In deutschen Medien sind in den
letzten 30 Jahren keine Begriffe so stark strapaziert worden wie diese
und damit eng zusammenhängende Begriffe. Hier gilt es grundsätzlich
einem Irrtum vorzubeugen. Der Kampf um saubere Luft, Wasser und andere
Umweltbedingungen ist nicht das, was den Kernpunkt der sog. Ökologie
ausmacht. Die sog. ökologische Bewegung, die ihre ideologischen Vorbereiter
auf der ganz rechten Seite des Kapitals hat, nutzt Umweltargumentationen,
um diese strukturellen Verwerfungen und Unterdrucksetzungen gegenüber
der Arbeiterklasse in einer extremen Weise weiter hochzutreiben. Ein Kapitalismus,
der ein starkes Wachstum hat - und Wachstumsimpulse gibt es heute genug
auf der Welt, allein die Industrialisierung in der Dritten Welt ist ein
ständiger Wachstumsmotor, der zur Geltung kommt - ein stark wachsender
Kapitalismus also bietet den Arbeitern aller Länder immer erheblich
mehr Kampfmöglichkeiten als ein stagnierender bürokratischer
Kapitalismus. Da, wo zusätzlich durch Stagnation Arbeitskräfte
freigesetzt werden, ist selbstverständlich der Druck gegenüber
den Arbeitern viel größer. Im Zusammenhang mit den Produktionsverlagerungen
wurde das ökologische Argument viele Male gebracht. Eine
relativ freie Entwicklung des Kapitalismus bedeutet, wie schon Lenin zurecht
festgestellt hat, viel größere Möglichkeiten für
die Arbeiterklasse zur Emanzipation als ein mit reaktionären Hindernissen
und Pseudo-Naturschutzregeln bewußt gehemmter Kapitalismus, der
den Druck auf die Arbeiterklasse vorsätzlich verschärft. Hinter
der Hand sprechen Ökologisten auch offen davon, daß man die
Forderungen der Arbeiter bekämpfen muß, da diese überhaupt
die Quelle für die Umweltgefährdung der ganzen Menschheit seien,
und ähnlicher Unsinn. Die Menschheit ist nicht durch die Umweltkatastrophen
gefährdet, sondern, wenn schon, durch die soziale Existenz des Kapitalismus.
Urheber dieser Ideologie vom sog. Umweltschutz und Ökologie sind
erzrechte Kreise des Kapitals, wie sie z.B. im Club of Rome
sich seinerzeit versammelt haben, oder wie sie z.B. durch den wertkonservativen
Ideologen Herbert Gruhl (rechte CDU) repräsentiert waren, der einer
der ersten Urheber ökologischer Ideen in Deutschland war. Oder es
gab auch entsprechende Kräfte aus den USA, die grüne Programme
schon in den 50er Jahren ausheckten, als der Kapitalismus sich noch relativ
schnell in Europa entwickelte. Das ist Kampfansage gegen die Arbeiterklasse
von Grund auf. Einer der Haupthebel dieser Politik ist die Energieverteuerung
und die Verbilligung der Arbeitskraft, wie das offen in den 80er und 90er
Jahren erklärt wurde. Heute haben wir die Energieverteuerung und
die Verbilligung der Arbeitskraft und die elementare Handarbeit, die die
Alternativen propagiert haben, und zwar in einer brutalen Weise, wie sie
bisher sich noch niemand hat vorstellen können. Denn das, was in
der Dritten Welt zum Teil gearbeitet wird, ist Handarbeit pur, ist Fließbandarbeit
pur, und das zu Lohnbedingungen, die man noch nicht einmal im 19. Jahrhundert
in Europa kannte.
VI.
Man wird nicht zu den Verhältnissen von vor 1970 zurückkehren
können. Aber eine Abrechnung mit der Politik der Entwertung der Arbeitskraft
in all ihren Schattierungen, wie sie in den letzten Jahrzehnten innerhalb
dieses Landes erfolgt ist, ist unabweisbar. Die falsche, verlogene, kleinbürgerliche
Kritik am Kapitalismus, die sehr oft diese Tendenzen bestärkt hat,
ist in ihrem Wesen reaktionär und den Interessen der Lohnabhängigen
feindlich.
Die soziale Ausrichtung der Bremsung des Kapitalismus, wie sie hier in
Europa unter diesen Vorzeichen stattgefunden hat, ist zu bekämpfen,
was auch eine Bewegung gegen die soziale Entrechtung sich mit zum Ziele
setzen muß. Bis zum heutigen Tage geht der Kampf auf diesem Gebiet
weiter. In dieser Frage kann man sich der Unterstützung der Mehrheit
der Arbeitenden sicher sein.
Wenn man erklärt, daß alle diese vergangene Politik in Ordnung
sei, daß man im Grunde nur das Sozialstaatsniveau auf der Grundlage
der internationalen Ausbeutung erhalten will, dann befindet man sich selbst
auf dem Weg der Parteinahme auf seiten der Ausbeuter und wird damit auch
scheitern, allenfalls vorübergehende Erfolge erreichen. Hier gilt
es, grundsätzlich Klarheit zu schaffen über die Anti-Wachstums-
wie auch die sog. alternative Politik.
Dies sind grundlegende Ausgangsthesen für die Gruppe Neue Einheit
im Kampf gegen Hartz und soziale Entrechtung. Wir sind gerne
bereit, diese Fragen in allen Einzelheiten zu diskutieren. Wir haben bisher
die Protestaktionen gegen die soziale Entrechtung wesentlich mit initiiert
und im weiteren unterstützt und beabsichtigen, dies auch weiterhin
zu tun. Wir sehen uns aber auch gezwungen, diese unserer Ansicht nach
unabweisbaren sozialen Zusammenhänge klarzustellen.
Wir sind der Ansicht, daß, wer den Kampf ernsthaft fortführen
wird, auch mit den grundsätzlichen Fragen, die wir hier vertreten,
in der Praxis konfrontiert wird.
Verfasser: H.D.
www.neue-einheit.com
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